Der Blick auf die Stadt
Zwölf Stunden habe ich allein in dem Zug gesessen und die weißen Gipfeln der österreichischen Alpen durch das Glas beobachtet. Kurz vor Wien ist der Zug in ein weites Tal gesprungen, die Berge hinter uns verlassend.
Ich fahre nach Prag, die Hauptstadt Tschechiens. Aus irgendeinem Grund habe ich niemals viel über Prag nachgedacht. Ich kannte die grundlegenden Dinge, hörte allzu oft über das Brauhaus “Zu Fleks” und kannte die Leute die dorthin auf Exkursion waren, die nur über das Bier gesprochen haben. Jetzt weiss ich, dass “irgendein Grund” die Stereotype waren, die ich über Prag hatte und fühle mich wirklich dumm.
In Prag kam ich am Abend an. Der Hauptbahnhof illustriert die Stadt wirklich gut. Gross und alt, mit einem riesigen Tonnengewölbe, unter dem die Leute schnell strömen, wie der Fluss Vltava unter ihren Brücken.
Man sieht kein Ende von Altbauten in Prag. Von Straße zu Straße wechseln sich die Fassaden vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Die ganze Zeit dachte ich über die Bewohner, die dort lebten, und versuchte das Stadtleben vor 1945 zu visualisieren.
Ich habe versucht, die wichtigsten Sehenswürdigkeiten zu vermeiden, weil sie mit so vielen Touristen auf einmal wie Disneyland aussehen.
Meine Entscheidung, den Samstag in Berlin zu verbringen, war spontan, weil die Sitze in Bussen nach Český Krumlov besetzt waren. Der Weg dorthin – keine Romantik. Billiger Bus, Autobahn und fünf Stunden Fahren ohne Pause. Bushaltestelle – nichts besonderes. Allerdings, um die Ecke sehe ich den Funkturm und die Messe. Ich weiss wo ich bin 🙂
Zehn Minuten später sitzen Jelena, die Freundin mit der ich kam, und ich in der U-Bahn und fahren zu unserer nächsten Station, zum Bahnhof Zoo. Leider hatten wir keine Zeit den Bahnnof, wo Kristiane F. und die anderen Kinder ihre Tage verbrachten, besser zu sehen. Neuer Turm von der Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche ist im Renovierungsprozess. Die Kräne erheben sich über die neuen Wolkenkrätzern. Wir fahren weiter zum Postdamer Platz. Dann gehen wir zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas.
Es macht keinen Sinn, Postdamer Platz und die anderen Attraktionen zu beschreiben. Man kann ohne Probleme Fotografien im Internet finden und sagen ob es ihm gefällt. Aber mit dem Denkmal für die ermordeten Juden ist es nicht so einfach. Peter Eisenman, der Arhitekt des Denkmals sagte: “Es ist ein Ort ohne bestimmte Bedeutung”. Jeder Mensch muss seine eigene Schlussfolgerungen ziehen, ob die Gedenkstätte ihren Zweck gut und genau vorstellt. Es ist schwerig zu beschreiben, was man in dieser kalten Serialität fühlt.
Neben dem Reichstag kommt man direkt zum Bundeskanzleramt. Die moderne Architektur reflektiert sich auf Spree und geht weiter durch ganze Mitte. Ich dachte sofort an den Satz von Karl Scheffler: “Berlin ist eine Stadt, verdammt dazu, ewig zu werden, niemals zu sein”. Schwierige Geschichte ist jetzt nur in ruhigem Spree sichtbar, in den die Bomben, Kugeln, Fasadenelementen und der Schmerz versanken. Aber die Wasseroberfläche steht still und geht weiter, wie die Zeit.
Die breiten Straßen, die ihren frischen Zustand abstrahlen. In Berlin denke ich nicht darüber nach, wie es vorher war, weil Berlin kein Museum ist. Die Stadt hat ihre Geschichte absorbiert. Darüber, was Berlin für mich heute repräsentiert, als eine Stadt, in der ich mich wie ein Bürger meiner Zeit fühle, muss ich meine eigene Schlussfolgerung ziehen. Vielleicht mit Blick auf das Denkmal für die ermordeten Juden, diese graue Vertikale ohne bestimmte Bedeutung?
Autor – Nikola Križanac, Niveau C1
“Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht!” (Rosa Luxemburg)